Das Grab des Charmylos
Im Bergdorf Pyli befindet sich das antike Grab des Charmylos. Seit der Antike als Held verehrt, soll er das Dorf gegründet haben und sogar mit dem Götterboten Hermes verwandt gewesen sein. Aufgrund dieser Bedeutung ist das Grab an einigen Stellen in Pyli gut ausgeschildert. Wer sich für den Besuch entscheidet und zur Besichtigung des Grabmals aufmacht, wird sich nicht wenig wundern: Der Weg führt durch enge Gassen, bergauf und bergab, endet abrupt an einem abhängig gelegenen kleinen Platz. 3 Autos parken hier, mehr geht auch nicht. Ein rostiger Zaun umgibt die unscheinbare, mit - bei meinem unangekündigten Besuch - kniehoch mit Gras bewachsene Grabanlage. Auch die Nachbarschaft macht einen eher verwahrlosten Eindruck: verfallene Mauern, rostige Schrottfahrzeuge, Disteln und Gestrüpp.
Ein blauer Wegweiser zeigt von der Umgebung unbeirrt auf die kleine Treppe, die zu einem unscheinbaren Gemäuer führt. Nur das blaue Dach verrät, dass es sich um ein sakrales Gebäude handelt. An der Eingangstür empfängt mich ein uralter Grieche mit heiserer Stimme, bittet mich einzutreten und das Innere zu besichtigen: Im engen, kahlen Raum befinden sich ein paar Stühle, ein Altar, Fresken und die typischen goldenen Gegenstände der griechisch-orthodoxen Kirche.
Der Alte reicht mir ein dünnes, langes Kerzchen. Nach dem Anzünden verweile ich ein wenig im Raum, um die Atmosphäre zu genießen: Die urige, kleine Basilika befindet sich über dem eigentlichen, unterirdischen Grabmal, das aus mehreren Röhren besteht. Entstanden sein soll es im 4. Jahrhundert - ob vor oder nach Christus, darüber streiten sich die Quellen. Neben dem Helden Charmylos sollen noch weitere Mitglieder seiner Familie hier beerdigt sein.
Mit krächzender Stimme erzählt mir der Alte von ganz, ganz früher. Von den Deutschen, den Italienern, den Amerikanern und allen anderen, die über die Jahrzehnte versucht haben, die Insel Kos zu erobern. Lacht sich zwischendurch ins Fäustchen bei der Erinnerung an die Dummheit dieser Machtspielchen und dem kindischen Benehmen dieser Mächte. Als ob es nichts Wichtigeres gegeben hätte! Zum Abschied reicht er mir noch ein paar frische Früchte. Die 5er Scheine im Glas neben dem Obstkorb zeugen davon, dass ich nicht der einzige Besucher an diesem Tag bin.